Happiness with every bite to eat?
Wie beeinflussen wir unser persönliches Glück mit unserem täglichen Essen - im Positiven wie im Negativen?
Vor einigen Jahren habe ich den Instagram Account Tegernsee Kitchen gestartet. Angefangen hat es mit einer persönlichen Challenge. Jeden Tag etwas frisches Kochen - regional, saisonal, bunt, ein bisschen kreativ, aber dennoch einfach in der Umsetzung, gut im Geschmack, alles in allem also auch nachhaltig gesund - und dann das Ganze auf Instagram teilen - für mich selbst und um Inspiration für andere zu bieten, regelmäßig frisch zu kochen. Ich war neugierig, was passiert, wenn ich meine Challenge ein Jahr lang verfolge.
Ich war davor knapp 15 Jahre im Startup-Universum unterwegs, habe digitale Produkte gebaut und Teams und Startups geleitet. Bis ich ausgebrannt bin. Oder anders ausgedrückt, mir das Glück abhanden kam.
Mein kleine Challenge war also gewissermaßen - ganz unbewusst - auch eine Suche nach dem Glück. Und vorab so viel: als ich angefangen habe, mich mit meinem Essen zu beschäftigen - was ich esse, wo mein Essen herkommt, wie ich es zubereiten kann, was mir bei meiner eigenen Ernährung wichtig sein könnte - da hat sich nicht nur mein Essen verändert, sondern auch wie ich auf mein Leben und die Welt blicke. Mein Leben ist heute ein anderes.
Man mag ja meinen, Essen sei grundsätzlich ganz einfach. Letztlich brauchen wir es heruntergebrochen in Form von Makronährstoffen - Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten - und Mikronährstoffen, also Vitaminen und Mineralstoffen, als Lebensgrundlage für den Körper und als Energiezufuhr. Wir essen seit Anbeginn der Menschheit und seit dem Tag unserer Geburt. Jeden Tag. Und dennoch scheint Essen in unserer heutigen Zeit etwas unfassbar kompliziertes geworden zu sein.
Die Supermärkte sind gefüllt mit unendlichen Alternativen, gesund und ungesund, Bio und nicht Bio, von Nah und Fern, kein Wunsch bleibt offen. Unzählige Fach- und Sachbücher werden jedes Jahr um das Thema veröffentlicht und auf Social Media tummeln sich wirklich unzählige Meinungen dazu, wie man besser, anders, gesünder, sich überhaupt ernähren könnte, sollte, müsste. Diäten, Kuren, Detox Angebote. Gleichzeitig publizieren Tages- und Wochenzeitungen regelmäßig Ratgeberartikel zu gesünderen Essensgewohnheiten und warnen vor Lifestyle Erkrankungen, die die Gesellschaft durchdringen - und ja: über 50% der Menschen in unserem Land sind übergewichtig. Gleichzeitig sagen 90% der Statista, dass Gesundheit für sie das größte Gut darstellt. Verwirrung vorprogrammiert. Verunsicherung auch.
Bei mir waren in erster Instanz auch körperliche Beschwerden, chronische Rückenschmerzen, der Anlass, mich mit meiner Ernährung zu beschäftigen - kein Arzt, kein Physiotherapeut schien helfen zu können, auch keine Übung, kein Aufbau der Rückenmuskulatur. Also dachte ich, vielleicht hilft mir eine andere Ernährung, vllt lässt sich an der Schraube drehen. Und obwohl ich einen Abschluss der Lebensmitteltechnologie hatte, musste ich mich erstmal ganz neu fragen: Was ist eigentlich eine gute Ernährung?
Lässt man das Dauerrauschen, das auf allen Kanälen um Ernährung summt, für einen Moment verstummen, nüchtern drauf schaut und die Wissenschaft sprechen lässt - Essen ist eigentlich nicht so schwer - man stelle sich einen Teller vor mit viel Gemüse, gesunde Kohlenhydrate und Ballaststoffe (also pflanzliche Fasern, die nicht verdaulich sind), hochwertige Proteine, wertvolle Fette, wenige Zucker, möglichst keine industriell verarbeiteten Lebensmittel, viel Wasser und am Besten auch kein Alkohol. So richtig kompliziert ist das ja eigentlich nicht, oder? Und Sinn macht es auch.
Essen übernimmt heute viel mehr Aufgaben als reine Energiezufuhr - es ist sozialer Kit, persönliche Geschichte und Kultur, die gelernte und fest verankerte Ernährungsrituale mit sich bringen; Identität und manchmal politische Gesinnung, die in bestimmte Essensregeln eingebettet sind und Essen ist auch ein Kontrollmechanismus, um den eigenen Körper an Schönheitsideale anzupassen; dazu viele laute Anreize nach dem nächsten bunt-verpackten Produkt zu greifen.
Das alleine sind schon so komplizierte soziale und emotionale Aspekte, die an unser Essen geknüpft sind, da wird eine Gewohnheitsänderung in ‘einfach mal gesund essen’ zur großen Herausforderung. Und ja, das Essen, das wir zu uns nehmen, spielt tatsächlich täglich mit unserem Glück - some happiness with every bite we eat. Schlüsselwort Glückshormone.
Engel und Teufel zugleich. Die meisten werden schon mal die Glücklichmacher im Ohr gehabt haben: Serotonin das „Wohlfühlhormon“; Endorphine, ein körpereigenes Morphin; Oxytocin unser „Kuschelhormon“ und Fluch und Segen in einem: Dopamin unser „Motivations- & Belohnungshormon“.
Unsere Überlebensinstinkte sind fest verkettet ua genau mit dieser Hormonsammlung. Das macht ihre Wirkung auch so stark. Dabei steuert unser Gehirn die Ausschüttung des Glückscocktails. Die Krux dabei ist: auf bestimmte Substanzen, vor allem, wenn sie in hochkonzentrierter Form daherkommen - Zucker = Energie, Fett = Kalorienvorrat, Schärfe und Alkohol = Stressabbau oder Belohnung - reagiert unser Gehirn sehr sensibel und schnell, denn sie bedeuten: Überleben. Ein zuckerhaltiges Getränk als einfachstes Beispiel, versetzt unser Gehirn kurz in Ekstase - so viel Überlebenssicherung auf einmal, das muss mit einem kräftigen Schub Glück gefeiert werden. Es folgt ein Cocktail-Kick aus Dopamin, Serotonin, Endorphinen… - wir erleben ein Zucker-High. Der Effekt ist allerdings leider nur kurzfristig denn - manche werden den Begriff ‘leere Kalorien’ kennen - wenn wir diese Substanzen in Form von Softdrinks, Chips, Fertigprodukten, die auf genau diesen Kick ausgerichtet sind, zu uns nehmen, fehlen die relevanten und wertvollen Makro- (Kohlenhydrate, Proteine & Fette) und Mikronährstoffe (Vitamine und Mineralien), die der Körper braucht, um ein stabiles, gesundes körperliches Fundament zu bauen. Leider folgt nach dem kurzen High auch die bald darauf folgende Ernüchterung - wir brauchen neuen Stoff. Ein Pingpong von Hochgefühl und Ermüdung und Launenhaftigkeit entsteht.
Dopamin spielt in dem Geflecht an Hormonen eine gesonderte Rolle - als Motivations- und Belohnungshormon, löst es selbst kein Glücksgefühl aus, sorgt aber dafür, dass wir Handlungen wiederholen, die uns mit entsprechenden Glückshormonen belohnen - es wird also ausgeschüttet, wenn wir einen als schön empfundenen Reiz erwarten und sorgt so dafür, dass gelernte Gewohnheiten fest in uns inkl. körperlichem Gefühl verankert werden - bewusst oder unbewusst, zb der Duft von Kaffee wird bei den meisten regelmäßigen Kaffeetrinkern Dopamin antippen - Vorfreude steigt auf und wir sind animiert uns eine Tasse zu nehmen. Besagte Gewohnheiten können so stark sein, so stark körperlich empfunden werden, wie eine Sucht, dass wir meinen, sie aus eigener Kraft gar nicht verändern zu können, dass sie zu uns als Mensch gehören, kaum veränderbar sind.
Neben der Ausschüttung der glücklich machenden Hormone und des suchthaften Dopamins kommen die Achterbahnfahrten des Blutzuckers dazu - kurzkettige Kohlenhydrate wie in Süßigkeiten und zuckerhaltigen Getränken sowie Produkten aus Weißmehl lassen den Blutzucker in die Höhe schnellen. Der Körper kennt diese Form des schnell wirkenden Zuckers nicht aus der Natur - sonst wäre es im Fruchtfleisch eingebettet, das wiederum ua Ballaststoffe und Mikronährstoffe enthält und damit die Wirkung bzw die schnelle Abgabe des Zuckers in unseren Blutkreislauf, abpuffert. Aus der Bauchspeicheldrüse wird Insulin ausgeschüttet, um die Zuckermoleküle zu verwerten. Das Insulin, das auf diesen großen Schwung an Zuckermolekülen nicht gefasst ist, kompensiert über. Die Folge ist ein Absturz des Blutzuckers. Wir werden unleidlich, müde, haben Hunger und wollen wieder essen - in dem Moment gefühlt am Besten wieder etwas Süßes, um uns möglichst schnell wieder aus dem Tief zu ziehen.
Wie bei den ausgeschütteten Glückshormonen, folgt nur ein kurzer Kick, danach die Gier nach erneutem Süßen: wir wollen mehr. Auch hier entsteht ein wackeliges Fundament, das schnell in sich zusammenbricht, denn die stabilen Bausteine in Form von guten Kohlenhydraten, Ballaststoffen, Proteinen und gesunden Fetten fehlen. Nach einem Bissen Glück wollen und brauchen wir mehr. Die Frage ist nur in welcher Form.
Sidenote: Lebensmittelhersteller optimieren ihre Produkte auf den sogenannten „Bliss Point“ – das ist genau die Kombination aus Zucker, Fett, Salz & Aromen, die im Gehirn den maximalen Dopamin-Kick auslöst, um immer mehr Lust auf ein Bisschen mehr herauszukitzeln. Also ein bisschen Glück mit jedem Bissen - nur vorgetäuscht.
Eine kulinarische Glücks-Nachhaltigkeit entsteht erst dann, wenn wir mit der Nahrung auch die Bausteine zu uns nehmen, die zu einem stabilen Fundament führen - ua eine dauerhafte Produktion entsprechender Glückshormone gewährleistet, die konstant verfügbar sind und uns nicht in eine Reiz-Achterbahn führen. Und genau diese Form der Nahrungsaufnahme, ist genau dann, wenn wir uns gerade oder vielleicht auch schon länger in der Reizachterbahn befinden … langweilig. Nicht stimulierend. Schmeckt nicht.
Genau diese Stelle finde ich besonders spannend. Was macht eine Veränderung in unseren Ernährungsgewohnheiten, einen Ausstieg aus dieser süßen Reizachterbahn, so schwer?
Zu gerne wird der menschliche Körper nach wie vor in seiner Funktionsweise sehr maschinell betrachtet. Wenn etwas nicht stimmt, wird der Körper von außen repariert, es wird etwas zugeführt oder etwas weggelassen. Schon soll alles wieder laufen. Die Komplexität des menschlichen Körpers, seiner Antriebs- und Gewohnheitsmechanismen, seines Bewusstseins wird noch stark außen vor gelassen.
Gerade durch sein Bewusstsein unterscheidet sich der Mensch aber von anderen Lebewesen. Wir haben die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, für oder gegen etwas. Dazu gehört auch die ganz grundsätzliche Entscheidung, wie wir leben wollen. Die vielen Stimmen aus dem OFF, die uns vermeintlich vorgeben, wie wir leben könnten und unsere eigenen inneren Stimmen und erlernten Gewohnheiten, die uns vorgeben, wie wir leben sollten, können dabei sehr laut sein und unsere eigene, innere Stimme durchaus recht nachhaltig übertönen. Allzu leicht verlieren wir unser Gehör für unsere eigene Stimme komplett. Dafür, was wir wollen. Dafür, was unser Körper braucht.
Schaffen wir es aber unser Bewusstsein in aller Klarheit auf uns selbst zu richten, uns zu fragen, ob wir so leben - und essen - wie wir es bewußt selber wollen, ob unsere Essensentscheidungen auf ein Leben in Gesundheit und nachhaltigem Wohlempfinden ausgerichtet sind, wenn wir es schaffen aus im Raum der vielen Stimmen und der Überstimmulation eine Stelle der Ruhe zu finden, wo wir uns selbst wieder hören - dann haben wir die Möglichkeit bewusst aus der Achterbahn auszusteigen.
Und ja, das ist nicht einfach. Denn es bedarf Bewusstsein und Mut. Und es kann sehr unbequem sein. Immer wieder, jeden Tag aufs Neue. Weil immer wieder die Entscheidung gegen den kurzfristigen Kick im Raum steht. Gegen das schnelle Glück im Moment.
Bedeutet es, ich darf nie wieder Pizza essen, nie wieder ein Burger, nie wieder ein Glas Wein? Natürlich nicht. Wenn wir an eine andere Ernährung denken, dann geht es in meinen Augen weder um Diäten oder Kuren, nicht um Verbote und Dogmen. Vielmehr geht es darum, ein stabiles gesundheitliches Fundament zu schaffen, aus Gewohnheiten, die in der Summe auf das eigene Wohlbefinden, auf die Gesundheit im breiten Sinn einzahlt. Soll heißen, es geht nicht lediglich darum, nicht krank zu sein, sondern vielmehr, sich gut zu fühlen, kraftvoll, ausgeglichen, zuversichtlich - um die Dinge im Leben umzusetzen, die einem tatsächlich wichtig sind und damit die Grundlage für ein zufriedenes Leben schaffen. Dazu gehört es auch, aus Regeln auszubrechen, wenn man es mit Bewusstsein und Genuss macht und immer wieder zum Fundament zurückfindet.
Unser Bewußtsein gibt uns auch die Möglichkeit, in die Zukunft zu blicken, mir die Frage zu stellen, wer ich sein will - morgen, übermorgen, nächstes Jahr. Nicht nur wer ich sein will, sondern auch wie ich mich fühlen will. Davon abgeleitet kann ich die notwendigen Rückschlüsse ziehen, wie ich heute leben sollte, um auf diese Ziele einzuwirken, ein entsprechender Lebensstil lässt sich davon ableiten. Herausfordernd kann es dann werden, wenn wir unsere Ernährungsgewohnheiten bewusst ändern wollen, dazu unser heutiges Verhalten reflektieren und hinterfragen, wann und wo bestehende Gewohnheiten entstanden sind, auf welche Momente und Situationen im Leben sie zurückzuführen sind. Denn dann fange ich an mich selbst und mein bisheriges Leben genauer zu beleuchten. Der Weg durchaus kann herausfordernd sein.
Für mich hat die Beleuchtung meiner Ernährungsgewohnheiten zu einer Änderung meines ganzen Lebens geführt. Ein Weg, der zu gehen war, der aber in deutlich mehr Glück gemündet ist, außerdem mehr Mündigkeit und vor allem Selbstwirksamkeit. Denn wenn wir Selbstwirksamkeit mit dem Ziel eines zufriedenes Leben anstreben, dann ist der erste Schritt zur Selbstwirksamkeit der hin zur Entscheidung für sich selbst und der daraus folgende Rückschluss der Pflege des eigenen Körpers und Geistes.
Happiness with every bite you eat. In jedem Fall. Dabei bleibt die Entscheidung wie, bei jedem Einzelnen - kurzfristig, mit einer Aneinanderreihung von Hochgefühlen, die schnellen Spaß mit sich bringen, langfristig verheerend sein können. Oder aber aufbauend auf einem stabilen Fundament, mit Konstanz und langfristiger Zufriedenheit - dabei wird der Weg zum Ziel.